WIRTSCHAFTSWUNDER-REVUE „Himbeereis und flotte Käfer“ begeistert Publikum / Von Heinz Erhard bis zum „Wunder von Bern“
(em). Im Rainröder Bürgerhaus waren die 50-er, die 60-er Jahre greifbar: Manuela Vogt, die „Fotoarchivarin Rainrods“, hatte Aufnahmen von damals an den Wänden aufgehängt und das beliebte Identifizierungsspiel begann: „Ei, dess iss doch die Emma…“ Minikleidchen hingen auf Bügeln, zierliche Schirme mit langen Griffen und Schleifchen daran waren aufgespannt, ein Pappkoffer geöffnet, in dem all die Herzschmerz-Publikationen für den Feierabend lagen: „Silvia-Roman“, „Juwel“-Heftchen, Arztromane. Plakate von „Bravo“ mit Conny Froboess und Peter Kraus auf dem Titel, von Colgate und Persil mit der blütenweißen Hausfrau umrahmten eine große Leinwand in der Bühnenmitte. Keine Zufallsdekoration: die Ortsbürgerin Helga Hainbach hatte all die Schätzchen dem Kulturring Rainrod für diesen Abend zur Verfügung gestellt, denn angesagt war „Himbeereis und flotte Käfer“, die heiter-musikalische Wirtschaftswunder-Revue von Gabriele und Alexander Russ. Zahlreiche Gäste, auch viele Auswärtige, konnte der Kulturring-Vorsitzende Hans-Georg Lippert begrüßen und sorgte, wie es seine Art ist, von Anfang an für gute Laune. Er hielt ein sehr knappes Träger-Minikleidchen hoch und sinnierte: „Kein Wunder – damals gabs noch keine Probleme mit dem demografischen Wandel.“ Dankesworte gingen an Stefan Schmidthals vom örtlichen „Lädchen für alles“ und die anderen Vorverkaufsstellen.
Und dann kaman sie auf die Bühne, die zwei „Reiseführer“ vom „Musiktheater Bellevue“: sie im Mini-Tupfenkleidchen mit viel Bein, er im Synthetikhemd mit Heinz Erhard-Brille. „Damals hatten Schlager noch Seele“ meinte Russ und das Duo stellte es gleich unter Beweis – mit Evelyn Künnekes „Mackie-Boogie“, mit Trude Herrs „ich will keine Schokolade“, alles fetzig mit Gitarre und Schlagzeug begleitet. Später kamen auch noch Mandolina, Concertina und Percussion zum Einsatz. Alexander Russ erwies sich als Conférencier der alten Schule, erinnerte an das „Medium Nr. 1“ von damals, das Radio in der Küchenecke, und imitierte Sportmoderator Herbert Zimmermann mit seiner berühmten Reportage des „Wunders von Bern“. Tief war der nostalgische Seufzer, der da durchs Publikum ging.
Die Stimmung steigerte sich, als Gabi Russ Zweizeiler des unsterblichen Comedian von damals, Heinz Erhardt, zitierte, als Minas „Heißer Sand und ein verlorenes Land“ schmelzend erklang. Meisterhaft wurde bei Benny Quicks Halbstarkenhymne von der „Motorbiene“ das Geknatter eines heftig frisierten Mofas imitiert und zugleich an Borgward, Isetta, die NSU-Quickly und andere Nostalgiegefährte erinnert. Tumult erhob sich im Saal, das Publikum war inzwischen völlig in den Bann der beiden Zeitzauberer auf der Bühne geraten und klatschte begeistert mit bei Siv Malmquists „Liebeskummer lohnt sich nicht, my Darling“, bei Manuelas „Schuld war nur der Bossanova“, bei Lolitas „Seemann, lass das Träumen“, begleitet mit dem „kleinen Asthmatiker“, der Concertina. Aber Alexander und Gabriele Russ hatte noch ganz andere Überraschungen parat. So die Handpuppen von Urmel und Mamma Wutz, den kleinen szenischen Ausflug in die Welt der „Augsburger Puppenkiste“. Dann zweimal ein Werbeblock: das Duo hatte Firmen um Reklamefilme von damals gebeten. Da rollte der Opel Rekord, „ein Auto, mit dem man sich sehen lassen kann“, da belehrte die erfahrene Frau das junge Ding, dass „Palmolive mit natürlichen Proteinen rote Spülhände verhindert“, da marschierte das knuffige braune Bärchen der Dosenmilch durch Stadt und Land und ein Kinderchor jodelte im Hintergrund. Und als hätte das Duo sein schauspielerisches Talent noch nicht genügend unter Beweis gestellt, verwandelten sich die beiden in die Putzfrauen Frau Struwwelisch und Frau Babbisch aus „Mainz wie es singt und lacht“, beschworen den „Blauen Bock“ und die tiefsinnige Suche nach roten und grünen Bembeln herauf. Und als das Publikum mit Zugabewünschen gar nicht aufhören wollte, sangen beide Heidi Brühls „Wir wollen niemals auseinander gehn“ und Gabriele Russ setzte mit „Aber heute muss es sein“ den Schlusspunkt.
Quelle: Kreis-Anzeiger 15:10.2013